Offen für eine unkonventionelle Nutzung
veröffentlicht in sb 2/2020
Das Kongress- und Messezentrum ist als „3D-Park“ konzipiert, um den vom Gebäude eingenommenen Raum an die Stadt zurückzugeben. Die verschiedenen Einrichtungen sind gleich Lego-Bausteinen modular in den Park integriert, um die Bürger zur aktiven Teilhabe und Nutzung als sozialer Treffpunkt zu motivieren. Die Messehallen können innerhalb kurzer Zeit zu „Sportgroßhallen“ umgebaut werden. Die Planer von approach design Studio möchten die Ressourcen großer öffentlicher Gebäude im urbanen Kontext besser für die Öffentlichkeit nutzbar machen.
Für den ersten Bauabschnitt des Cloud Town Exhibition Center im Jahr 2015 entwarfen die Planer ein atypisches Messe- und Ausstellungszentrum, das ohne die klassischen Formvorgaben und repräsentativen Elemente auskommt. Stattdessen wurden eine erfrischend kompakte Gebäudeform, verschwimmende Grenzen zwischen Innen- und Außenraum und ein für jedermann offener Freiraum geschaffen.
Zwei Jahre später – 2017 – war es aufgrund der zunehmenden Größe der hier stattfindenden „Computerkonferenz“ angezeigt, in einer zweiten Entwicklungsphase ein drei Mal größeres Messezentrum direkt gegenüber dem bereits vorhandenen Ausstellungskomplex zu errichten. Gemeinhin wurde ein noch größeres und symbolträchtiges Gebäude erwartet, doch die Planer warteten mit einem einfachen „3D-Park“ auf. Es gab kein Vorbild dafür. Das Konzept zeigte sich nicht einmal als Gebäude und sorgte für kontroverse Diskussionen und Widerstand.

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Mao Liaoping
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In der Regel verschlingt ein Messezentrum große Mengen urbaner Ressourcen. Selbst hervorragend gebuchte Ausstellungszentren haben nur eine Auslastung von 40 Prozent, bei einigen liegt dieser Wert sogar unter 10 Prozent. Herkömmliche Messezentren können nur schwer für andere Zwecke genutzt werden. Vor diesem Hintergrund stellten die Planer folgende Fragen: Kann das Leben der normalen Bürger durch die Anlage verbessert werden, während diese gleichzeitig ihre ursprüngliche Funktion als Messezentrum wahrt? Kann die Auslastung erhöht werden, indem der Gebäudekörper auch von anderen städtischen oder öffentlichen Einrichtungen genutzt wird oder eine Integration anderer Funktionen erfolgt?
Attraktiv und umweltfreundlich
In der Folge wurde die enorme Größe des Gebäudes reduziert, um sein „aggressives“ Erscheinungsbild abzumildern. Hierzu wurde die Höhe dieser 66.000 m² großen Megastruktur auf 6,6 m begrenzt. Sie stellt sich als riesige, niedrige, mit Rasen begrünte Dachlandschaft dar. In der näheren Umgebung finden sich zahlreiche grüne Hügel, sodass die Dachlandschaft als eine Erweiterung des Horizonts erscheint und die Menschen mit ihrer Offenheit zu einem Spaziergang auf dem Dach einlädt.
Im ersten Bauabschnitt wurde ein Hochbau mit für die Öffentlichkeit zugänglicher unterer Ebene errichtet. Im zweiten Bauabschnitt wird nun die gesamte vom Gebäude beanspruchte Fläche als attraktiver und umweltfreundlicher „3D-Park“ an die Bevölkerung zurückgegeben.
Gut zu wissen

Standort
Cloud Town, Hangzhou, Zhejiang, China
Bauherr/Betreiber
Cloud Town, Hangzhou
Architekten
approach design Studio
www.approach-design.com.cn
Planungsteam
Ma Di (Leitender Architekt),
Jin Xin, Mao Liaoping,
Jiang Sheng, Zhang Jialiang,
Shen Weifen, Wang Yang, Mao Mengjun
Autor
approach design Studio
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Offizielle Eröffnung
September 2017
Baukosten
510 Millionen RMB
65,3 Millionen EUR
Im direkten Vergleich präsentiert sich der erste Entwurf als „schwer“, der zweite hingegen als „leicht“. Die Besucher betreten die Anlage auf der unteren Ebene des ersten Gebäudes und verlassen sie auf der oberen Ebene des zweiten Gebäudes, ohne diesen Wechsel bewusst wahrzunehmen. So wurde an einem Standort ein harmonischer und interessanter Dialog eingerichtet.
Die neun Meter hohe Ausstellungshalle wurde zu einem Drittel in den Boden eingegraben, wodurch der Eingang die Besucher automatisch nach unten führt. Dieser Ansatz steht in einem starken Kontrast zu den weiten repräsentativen Treppenaufgängen früherer Ausstellungs- und Kongresszentren. Das neue Messezentrum nimmt aufgrund seiner geringen Gebäudehöhe die für den zweiten Bauabschnitt vorgesehene Grundfläche fast vollständig ein. Die Baudichte und das Verhältnis zwischen bebauter und begrünter Fläche übersteigen die geltenden Planungsvorgaben (trotz der Dachbegrünung konnten nur 20 % der insgesamt geforderten Begrünung umgesetzt werden).
Mehr als ein Park auf dem Dach
Zehn unterschiedliche Sport- und Freizeitelemente wurden auf dem Dach angeordnet: Fußballfeld, Aussichtsturm, Sandfläche, Veranstaltungsbühne, Skating-Plattform, öffentlicher Gemüsegarten, Pavillon und Hüpfspiel. Alle Elemente sind über eine 760 m lange Laufstrecke miteinander verbunden. All diese offenkundig nicht mit der Funktion als Messezentrum verbundenen Elemente haben sich als Anziehungspunkt für zahlreiche hochrangige Konferenzen erwiesen. An normalen Tagen wird die Anlage von vielen Menschen für Sport, Spiel und Entspannung genutzt. Mit spontanen Gemeinschaftsaktivitäten wie städtischen Konzerten, Fußballspielen, Karnevalsveranstaltungen und einem Marathon hat sich das Messezentrum zu einem täglichen Treffpunkt für die Arbeitnehmer und Einwohner der Stadt entwickelt.

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Anschlussmöglichkeiten für spontane Ideen

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Unter der Rasenfläche wurden diverse Anschlussmöglichkeiten installiert. Interessante Ideen können nachträglich umgesetzt werden, indem der Rasen an den entsprechenden Stellen angehoben wird, um neue Module gleich Lego-Bausteinen zu integrieren. So wird die freie Entwicklung von Nutzungsformen und Aktivitäten gefördert.
Der Dachpark führt hinunter zu einem schüsselförmigen Platz vor dem Haupteingang, der zusammen mit dem Treppenabgang eine 24-Stunden-Bühne für Veranstaltungen bildet.
In einer Ecke wurde eine zuvor unattraktive Verladerampe in eine wellenförmige Origamiskulptur umgewandelt. Diese wird auf vielfältige Weise genutzt, beispielsweise von Jugendlichen als Skating-Plattform oder von Kindern als Rutsche.
Sportgroßhallen
Der Innenraum des Gebäudes dient nicht länger nur als Ausstellungshalle. Über die Integration von Raum und Funktionen wurde ein neuer Nutzungstyp – die Sportgroßhalle – geschaffen. Wenn keine Konferenz stattfindet, können die Messehallen schnell in Flächen für verschiedene Sportarten wie Basketball, Badminton, Tischtennis und Fitnesstraining umgewandelt werden, einschließlich zusätzlicher Einrichtungen wie Umkleiden, Duschen und professionelle mechanische/elektrische Ausstattung. So wird das Zentrum tagtäglich intensiv genutzt.
Das Gebäude ist nicht nur ein Messezentrum, sondern auch der erste öffentliche Park und Sportpark der Stadt. Es verleiht der Stadt neues Leben und eröffnet schier unbegrenzte Möglichkeiten. Das Gesamtkonzept überzeugt weder durch eine optisch bestechende Fassade noch durch kostspielige oder komplexe Technologien oder obskure, esoterische Ideen. Allein der offene, kohäsive und auf Bürgerpartizipation ausgelegte Planungsansatz macht es zum beliebtesten Treffpunkt der Stadt und gewährleistet eine maximale öffentliche Nutzung der in der Anlage gebundenen urbanen Ressourcen.

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