Die Betriebsschließungs-Versicherung in Zeiten der Pandemie

veröffentlicht in sb 6/2020

Die behördlich angeordneten Betriebsschließungen haben viele Unternehmen hart getroffen. Wer hoffte, die finanziellen Einbußen durch eine Schadenszahlung aus seiner Versicherung auffangen zu können, wurde vermutlich enttäuscht. Denn wie hätte sich ein Unternehmen gegen die Folgen einer Pandemie versichern können, dessen Erreger bis zu seinem Auftreten nicht bekannt war? Die Versicherungsmakler Lucas Brenken und Matthias Wendt berichten aus der Praxis und geben Ausblick auf mögliche Folgen für die Zukunft.

 

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Autor       
Lucas Brenken, [bpa] bau-plan-assekuranz Versicherungsmakler GmbH & Co. KG, Kundenbetreuung

 

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Co-Autor 
Matthias Wendt, [bpa] bau-plan-assekuranz Versicherungsmakler GmbH & Co. KG, Geschäftsführung

Die Betriebsschließungsversicherung (BSV) ist eine Absicherung für Unternehmen, von denen ein erhöhtes Infektionsrisiko für die menschliche Gesundheit ausgeht. Klassische Beispiele sind Lebensmittelverarbeitung, Gastronomie, Hotellerie, Gesundheits- und Pflegedienst, sowie Freizeit- und Bäderbetriebe.

Die BSV übernimmt die fortlaufenden Betriebskosten (beispielsweise Miete und Personalkosten) sowie den entfallenen Unternehmensgewinn des versicherten Betriebes, wenn bei diesem eine versicherte Krankheit oder ein versicherter Krankheitserreger festgestellt wird und die zuständige Behörde die Schließung des Betriebes verfügt. Gleiches gilt, wenn für wesentliche Betriebsangehörige ein krankheitsbedingtes Tätigkeitsverbot ausgesprochen wird.

Die BSV wird beziehungsweise wurde vor Corona von einigen Versicherern angeboten. Als plausibles Schadenbeispiel hatte man insbesondere eine örtlich begrenzte, kurzweilige Kontamination mit Salmonellen, Legionellen, Keimen oder Viren im Blick. Hierfür sind der potenzielle Schadenaufwand und die Schadenwahrscheinlichkeit durchaus kalkulierbar und somit auch versicherbar.

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Foto: Pixabay / Benedikt Geyer

Risikoausgleich im Kollektiv

Eines der Grundprinzipien der privaten Versicherungswirtschaft ist, dass sich eine Vielzahl gleichartiger Risiken gegen ein ungewisses, jedoch klar definiertes Schadenszenario absichert. Es wird also eine Gemeinschaft gebildet, in der jedes Mitglied einen finanziellen Beitrag zur Deckung des Risikos beiträgt: die Versicherungsprämie. Die Mittel stehen dann für Entschädigungsleistungen zur Verfügung.

Da normalerweise nicht alle Mitglieder der Gemeinschaft gleichzeitig von einem Schaden betroffen sind, müssen die Mitglieder vergleichsweise geringere Versicherungsprämien einzahlen, als sie bei einem Versicherungsfall an Schaden erleiden würden. Dieses Prinzip wird als Risikoausgleich im Kollektiv bezeichnet.

Das System kann aber nur funktionieren, wenn es um die Deckung von Einzelfällen geht, denn wenn alle Versicherten gleichzeitig einen Schadenfall erleiden, steht gegebenenfalls nicht genügend Deckungskapital zur Verfügung, um alle Ansprüche zu bedienen.

Aus diesen Gründen schließen die Versicherer regelmäßig sogenannte „Kumulrisiken“ oder unkalkulierbare Großschäden wie zum Beispiel „Krieg“ oder „Luftfahrt“ vom Versicherungsschutz aus.

Greift die Betriebsschließungsversicherung bei Corona?

Die BSV ist zur Deckung von Einzelfällen erdacht worden. Das liegt vermutlich daran, dass ein Schadenszenario, wie es nun durch die Corona-Pandemie entstanden ist, nicht vorstellbar oder für realistisch erachtet wurde.

Nun ist der Schaden trotzdem da und die Versicherer werden mit den Ansprüchen konfrontiert. Ob ein Leistungsanspruch besteht, ist wie immer anhand des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und - soweit vorhanden - anhand individueller Vereinbarungen zu prüfen.

Damit der Versicherungsnehmer eine Leistung erhält, müssen insbesondere folgende grundlegende Kriterien erfüllt sein:

  • Es besteht ein aktiver Versicherungsvertrag
  • Es besteht ein aktiver Deckungsanspruch (kein Prämienverzug)
  • Der Versicherungsfall ist eingetreten und es greifen keine Ausschlüsse
  • Der Versicherungsnehmer hat einen nachweisbaren Schaden

Während die ersten beiden Punkte leicht und schnell zu überprüfen sind, kann es ab dem dritten Punkt kompliziert werden.

Die Versicherer definieren in den Versicherungsbedingungen, für welche Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz geboten werden soll. Je nach Anbieter wird entweder eine abgeschlossene Aufzählung oder eine offene Definition mit Verweis auf das Infektionsschutzgesetz aufgelistet - idealerweise mit der Klarstellung, dass die jeweils zum Schadenzeitpunkt gültige Fassung und die dort genannten Krankheiten und Erreger versichert sind.

Da der COVID-19 Erreger SARS-CoV-2 bis zu seinem Auftreten nicht bekannt war, konnte er naturgemäß auch nicht in den abgeschlossenen Aufzählungen der betreffenden Versicherer enthalten sein. Für Versicherer mit abgeschlossener Aufzählung war die Ablehnung des Schadens also vergleichsweise einfach und meiner persönlichen Meinung nach rechtlich nicht zu beanstanden.

Präventive Schließung der Betriebe

Ob der Versicherungsschutz greift, hängt von der Art und Weise der hoheitlichen Verfügung ab. Grundsätzlich muss der versicherte Betrieb tatsächlich mit dem Erreger / der Krankheit kontaminiert sein und per Einzelverfügung zur (Teil-)Schließung verpflichtet werden. Im Zuge der Corona-Pandemie jedoch wurden präventiv sämtliche Betriebe bestimmter Branchen geschlossen. Es kam der Behörde nicht auf den Einzelnachweis an. Dies wird als „Allgemeinverfügung“ bezeichnet.

Ob sich hiermit ein rechtlich belastbarer Grund zur Leistungsverweigerung ergibt, muss im Zweifel auf dem Rechtsweg ergründet werden. Die Rechtsprechung wird hier wahr­scheinlich noch viele Fälle zu prüfen und zu entscheiden haben.

Vorgehen in der Praxis

Als Fachmakler für Bäderbetriebe führten wir in letzter Zeit eine Vielzahl von Gesprächen zur BSV und stellten fest, dass die Schadenregulierung der deutschen Versicherer sehr unterschiedlich erfolgt ist. Drei Regulierungspraktiken sind gängig:

  • Vollständige Leistungsverweigerung
  • Teilregulierung nach der sogenannten „bayerischen Lösung“
  • Vollständige, vertragskonforme Regulierung 

Auch aus den vorgenannten Gründen haben einige Versicherer die Leistungsansprüche ihrer Versicherungsnehmer vollständig abgelehnt. Ob jede dieser Ablehnungen berechtigt ist, kann im Zweifel nur die Rechtsprechung klären.

„Bayerische Lösung“

Aus dieser rechtlichen Unsicherheit heraus lässt sich das Entstehen der „bayerischen Lösung“ erklären. Versicherer, die weder den Leistungsanspruch vollständig anerkennen noch ablehnen konnten/wollten, sahen mit dem Kompromiss „bayerische Lösung“ womöglich einen Weg, teure und langwierige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und mit vergleichsweise geringem finanziellen Schaden die Situation zu befrieden.

Das bayerische Wirtschaftsministerium hat zusammen mit Versicherungsgesellschaften und Branchenvertretern ausgehandelt, dass die Versicherten immerhin 10 bis 15 % der vereinbarten Tagessätze erhalten sollten.

Das Ergebnis dieser Verhandlungen und ihre Rechtmäßigkeit sind durchaus umstritten. Jüngste Gerichtsurteile nähren die Zweifel an der bayerischen Lösung beziehungsweise an der Regulierungspraxis der Versicherer. Es kommt aber, wie immer, auf den Einzelfall an. Im Zweifel empfiehlt sich eine Beratung durch spezialisierte Fachanwälte. 

In jedem Fall verbleibt ein fader Beigeschmack. Sofern der Versicherte dem Kompromiss zustimmt, verzichtet er auf 85 bis 90 % der Versicherungsleistung. Die Versicherer haben sich mehrheitlich von weiteren Ansprüchen freizeichnen lassen, wenn der Versicherte die bayerische Lösung akzeptiert.

Risiko der langwierigen Rechtsklärung

Versicherungsnehmer, die durch den generellen Lockdown und die anschließend weiterhin eingeschränkten Geschäftsmöglichkeiten ohnehin unter großem finanziellen Druck stehen, sehen sich vor die Wahl des kleineren Übels gestellt. Wer jedoch von seinem Leistungsanspruch überzeugt ist und den vollen vereinbarten Tagessatz erstreiten will, muss eine zeit- und kostenintensive Klärung vor Gericht in Kauf nehmen. Hier dürfte die Hemmschwelle für einige Betriebe hoch sein.

Es gibt aber auch positive Gegenbeispiele. Uns sind derzeit drei Versicherer bekannt, die den Leistungsanspruch ihrer Versicherungsnehmer von Anfang an voll anerkannt und entsprechend den Versicherungsbedingungen entschädigt haben.

Ausblick

Die meisten Versicherer haben sich vorerst aus diesem Segment verabschiedet.

Diejenigen Versicherer, die ihren Versicherungsnehmern vollumfänglich Entschädigungsleistungen erstattet haben, mussten natürlich immense, unerwartete Ausgaben verbuchen. Insofern ist es nur logisch, dass sich für zukünftige Pandemie-Fälle etwas ändern muss. So haben die ersten Versicherer bereits ihre Versicherungsbedingungen überarbeitet und schließen den Leistungsanspruch im Falle einer „Allgemeinverfügung“ grundsätzlich aus.

Um dem Grundgedanken des privaten Versicherungsprinzips wieder zu entsprechen, muss dem Versicherungsnehmer künftig eine Einzelverfügung von der zuständigen Behörde vorliegen. Auch auf der Prämienseite haben die Versicherer reagiert.

Impuls

Eine Abdeckung im Pandemiefall kann meines Erachtens nicht von den jeweiligen Einzelversicherern gestemmt werden. Ähnlich wie schon bei der Absicherung von Terror-, Arzneimittel- oder Atom-Gefahren geschehen, erscheint ein größerer Rahmen mit staatlicher Beteiligung, beispielsweise als sogenannter Versicherungspool, zielführend.

Solange es keine staatlich organisierte Absicherung über einen Versicherungspool gibt, sollte jedes Unternehmen prüfen, welcher Versicherer für künftige pandemiebedingte Betriebsschließungen Versicherungsschutz bietet. Es empfiehlt sich, einen Spezialisten mit Branchenkenntnissen einzuschalten.