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Sportvereine vor großen Herausforderungen

Boris Schmidt, Freiburger Kreis, IAKS Interview

Boris Schmidt

Vorsitzender Freiburger Kreis e. V.
Boris Schmidt
Vorsitzender Freiburger Kreis e. V.

Boris Schmidt ist Vorstandsvorsitzender des Freiburger Kreises, der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine mit derzeit über 180 Mitgliedsvereinen und über eine Million Sporttreibenden. Zudem ist er Vorsitzender der TSG Bergedorf von 1860 e.V. in Hamburg, einem der größten Sportvereine in Deutschland.

Kontakt:

TSG Bergedorf von 1860 e.V.
Postfach 80 08 27
21008 Hamburg

Tel.: 040 / 401 136 310
Fax: 040 / 401 136 390
E-Mail: b.schmidt@freiburger-kreis.de

Herr Schmidt, wie beurteilen Sie die derzeitige Situation der Sportvereine in Deutschland?

Es ist natürlich schwierig, pauschale Aussagen zu treffen. Ich würde aber grundsätzlich zwischen großen und kleinen Vereinen unterscheiden. Kleine Vereine sind mehr oder weniger abgetaucht. Insbesondere in ehrenamtlich geführten Vereinen kommt es auf das individuelle Engagement Einzelner an, das ist mal vorhanden, mal wird aber auch einfach abgewartet bis das übliche Sporttreiben wieder gestattet wird. Zudem sind kleine Vereine der großen Gefahr ausgesetzt, dass ehrenamtliche Strukturen wegbrechen. Viele Ehrenamtliche in den Sportvereinen merken durch den Lockdown womöglich, dass es auch noch etwas Anderes gibt, außer Sport. Ob ehrenamtliche Mitarbeiter nach der Pandemie mit dem gleichen Engagement zurückkehren, ist fraglich.

Und Vereine, die überwiegend von hauptamtlichen Mitarbeitern getragen werden?

Große Sportvereine mit hauptamtlichen Mitarbeitern können mit der Situation etwas anders umgehen, haben ganz andere Möglichkeiten, etwa Alternativangebote anzubieten. Hauptsächlich im Freizeit- und Gesundheitssport kann man mit digitalen Lösungen gute Angebote schaffen. Größere Vereine haben häufig auch vereinseigene Anlagen, sodass Sportangebote nach draußen verlagert werden können. Vereinseigene Sportstätten bieten grundsätzlich mehr Flexibilität im Umgang mit den Corona-Verordnungen. Nichtsdestotrotz sehen sich viele Vereine vor dem riesigen Problem, dass keiner mehr eintritt. Gleichzeitig treten aber schätzungsweise 10 bis 20 Prozent mehr Mitglieder aus als sonst. Insbesondere Mitglieder, die Fitness- oder Reha-Angebote in einem Verein nutzen sind natürlich nicht so stark an den Verein gebunden wie beispielsweise Spieler*innen einer Handballmannschaft. Die Austrittshürde jener Mitglieder ist also derzeit vergleichsweise gering.

Trifft der zweite Lockdown die großen Vereine besonders hart?

Ja. Im Winterhalbjahr treten in den deutschen Sportvereinen grundsätzlich mehr Mitglieder ein als in den Sommermonaten. Die Monate November bis Februar sind die eintrittsstärksten Monate im ganzen Jahr. Jetzt im zweiten Lockdown tritt natürlich niemand mehr in die Vereine ein – warum denn auch? Das ist eine Katastrophe.

Können Sie das in Zahlen ausdrücken?

In meinem Verein in Hamburg haben wir jetzt rund 12 Prozent der Mitglieder verloren. Ich denke, dass kleinere Vereine etwas weniger verlieren, größere Vereine sogar noch mehr verlieren. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass den Vereinen in Deutschland insgesamt zwischen 10 und 15 Prozent der Mitglieder verloren gehen. Noch gibt es dazu keine offiziellen Zahlen, aber aus meiner Sicht hat der organisierte deutsche Sport drei Millionen Mitglieder verloren.

Und was bedeutet das wirtschaftlich?

Die Zeit des Lockdowns ist – anders als etwa in der Gastronomie – nicht direkt das große Problem für die Vereine, weil diese ihre Mitgliedsbeiträge während des Lockdowns grundsätzlich weiterbekommen und die Ausgaben durch entsprechende Maßnahmen wie Kurzarbeit relativ gering halten können. Die Haupteinnahme der Vereine sind Beiträge und die fließen erst einmal weiter. Wenn Vereine vernünftig mit ihren Sportstätten umgehen, können Sie dort in der Lockdown-Zeit erheblich Kosten sparen. Aber wenn der Lockdown vorbei ist und ein „normales“ Leben wieder beginnt, dann wird auch der Kostenaufwand wieder massiv ansteigen. Und dann machen sich die 10 bis 15 Prozent weniger Mitglieder natürlich drastisch bemerkbar. Die Kosten für die Sportangebote bleiben so hoch wie vor der Pandemie, die Einnahmen sind allerdings um 10 bis 15 Prozent gesunken. Beim Hamburger Verein TSG Bergedorf e.V. haben wir schon vor dem ersten Lockdown um die 400.000 Euro weniger Einnahmen prognostiziert. Mit dem zweiten Lockdown werden es wahrscheinlich weit über 500.000 Euro sein, die uns fehlen.

Was bedarf es, damit die Vereine nicht an diesen immensen Verlusten kaputtgehen?

Die Sportvereine, insbesondere jene mit vereinseigenen Sportanlagen, brauchen dringend staatliche Unterstützung – nicht während des Lockdowns, sondern in den zwei bis drei Jahren danach. So lange wird es wohl dauern, bis die Vereine wieder auf den Stand kommen, wo sie vor der Pandemie waren. Die Situation wird sich ja nicht von heute auf morgen normalisieren, sondern es wird noch lange Zeit Einschränkungen und womöglich notwendige Investitionen, zum Beispiel in Lüftungsanlagen, Hygienevorkehrungen oder digitale Lösungen, geben.

Stichwort Digitalisierung: Wenigstens eine positive Folge der Pandemie?

Man muss sagen, dass diejenigen Vereine, die sich schon vor der Pandemie um die Digitalisierung von Prozessen gekümmert haben, jetzt klar im Vorteil sind. Zum Beispiel bei der Kontaktnachverfolgung, den Anmeldungen für Kurse, Schwimmzeiten usw. sind digitale Lösung um ein Vielfaches effizienter. Digitale Mitgliederversammlungen, Besprechungen, all solche Dinge lassen sich natürlich auch viel leichter Umsetzen, wenn die entsprechenden technischen Voraussetzungen dafür vorhanden sind. All das wird durch die Pandemie natürlich erheblich beschleunigt, wenngleich viele kleine Vereine hier vor Herausforderungen stehen, weil die entsprechende Infrastruktur gar nicht vorhanden ist.

Was macht den Sport in Zukunft attraktiv? Wie können Sportvereine wieder neue Mitglieder gewinnen?

Man hat im letzten Sommer schon gemerkt, dass die Menschen das Bedürfnis nach Sportangeboten im Freien haben. Insofern brauchen wir ein Umdenken in der Sportinfrastruktur. Das bedeutet vor allem ganzjährig nutzbare Außensportflächen. Überdachte Sportflächen, wo wetterunabhängig Sport betrieben werden kann, werden aus meiner Sicht eine große Rolle in der Zukunft spielen.

Ich denke auch, dass der Gesundheitssport und das Bewusstsein für Gesundheit einen neuen Stellenwert bekommen wird. Es kann also sein, dass nach der Pandemie ein regelrechter Boom auf den Sport zu kommt, weil die Menschen seine Bedeutung während der Pandemie umso mehr schätzen gelernt haben.

Inwiefern müssen Sporträume dieser veränderten Nachfrage gerecht werden?

Sporträume, die nicht adäquat belüftet sind, werden in Zukunft ein Problem darstellen. Durch die Pandemie hat sich das Bewusstsein für frische Luft beim Sporttreiben nochmal verstärkt. Wenn ein Verein seinen Mitgliedern dann die entsprechenden Lüftungsanlagen bieten kann, sorgt das nicht nur für einen besseren Hygieneschutz, sondern vor allem auch für ein Gefühl von Sicherheit bei den Sporttreibenden.

Und eben die Flexibilität der Sporträume zwischen Outdoor- und Indoor-Möglichkeiten: In Hamburg entsteht gerade ein neuer Stadtteil, der sich stark an dem Konzept active city orientiert. Dort entstehen neben Wohnraum, Kindertagesstätten und Schulen natürlich auch viel neue Sportinfrastrukturen. Wenn wir als Verein dort eine Anlage bauen würden, würden wir am liebsten ein Fitnessstudio nur mit Glaswänden und -bedachung bauen, die wir im Sommer einfach wegfahren können, sodass wir dann ein Studio unter freiem Himmel haben. Eine Umsetzung all dessen ist angesichts der derzeitigen finanziellen Situation der Vereine jedoch auch stark von staatlicher finanzieller Unterstützung abhängig.

Interview: Arne Weise, IAKS Deutschland

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