Was macht ein Stadion zu einem erfolgreichen Stadion?

Gastbeitrag von John Barrow, Direktor, ESSMA Services

publiziert in sb 2/2020

Aktuelle und künftige Herausforderungen für Stadionbetreiber

Die einzig entscheidende Frage lautet: „Was macht ein Stadion zu einem erfolgreichen Stadion?“ Die Antwort ist so vielschichtig wie die Frage simpel ist: Es kommt ganz darauf an.

Obwohl die Erfolgsprinzipien universell sind, ist die Antwort ganz klar abhängig davon, ob die Anlage alt und damit ein Bestandsgebäude ist, ob es sich um einen Neubau handelt oder sich die Anlage gar erst in der Planungsphase befindet.

Die meisten Stadien in Europa sind Bestandsgebäude, einige davon gar aus den 1980er Jahren. Selbst die neueste Stadiongeneration wurde mit wenigen Ausnahmen bereits vor mehr als einem Jahrzehnt errichtet. Diese Stadien wurden in einer Zeit geplant, in der Sicherheitsbelange priorisiert wurden und es vornehmlich darum ging, einige wenige Veranstaltungen pro Jahr auszurichten und die Besucher wieder sicher nach Hause kommen zu lassen.

Wir alle wissen, dass mittlerweile Aspekte wie Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit die Tagesordnung bestimmen, vor allem angesichts des veränderten Bewusstseins vom Klimawandel als globales Phänomen.

Whitepaper 2-POP_02_0219_00_o2 arena__MG_9513_Julian Anderson 650.jpg

Foto: o2 Arena © Julian Anderson

John-Barrow.jpg

Autor  

 John Barrow, Direktor,
 ESSMA Services, früherer leitender Architekt, Populous

Der Einzug von Nachhaltigkeitsaspekten in die Stadionplanung begann Mitte der 1990er Jahre, wie sich an einigen Merkmalen des Olympiastadions für Sydney 2000 ablesen lässt: riesige Regenwassertanks für die Spielfeldbewässerung, Photovoltaik­anlagen, Konvektionskühlung und natürliche Beleuchtung, Grauwassernutzung, geringe CO2-Emissionen, minimaler Gesamtenergieverbrauch der Baustoffe, niedrige Instandhaltungskosten und Abfallmanagement.

Nicht so sehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stand damals die nachhaltige Anlagennutzung im Nachgang der jeweiligen Kernveranstaltung. Die Flexibilität von Stadien für alternative Nutzungsformen wie andere Sportarten, Unterhaltungsangebote und öffentliche Veranstaltungen, Geschäftskonferenzen, Büros und sogar als Wohnraum ist heute ein zentrales Element einer jeden zukunftstauglichen Stadionplanung. Es ist wichtig, die vielschichtige Abwägung zu verstehen, die zu diesem Universalmantra geführt hat. Diesem liegt der Wunsch zugrunde, die Anlagen zum einen ganzjährig verfügbar zu machen und zum anderen zusätzliche Umsätze zu generieren.

Dies ist die wahre Definition von Nachhaltigkeit: Dringend erforderliche umweltbezogene Verbesserungen, Nutzungsmöglichkeiten für die Bürger sowie kommerzielle Umsätze sind die drei Kernkomponenten, die für eine langfristig nachhaltige Lösung benötigt werden. Zusammengefasst sehen wir genau das in den neueren Stadionentwürfen wie etwa beim neuen Stadion von Tottenham. Doch diese Philosophie gilt auch für kleinere Stadien mit geringeren Budgets und weniger komplexen Geschäftsmodellen.

Möchten Sie dieses Heft bestellen? Oder noch besser: Abonnieren Sie unsere Zeitschrift. Dann erhalten Sie alle sechs Ausgaben pro Jahr!

Mehr Infos zu Einzelheftbestellung und Abo

Ziel jedes Vereins- oder Stadionpartners muss es sein, die Sicherheit von Personen und Anlagen schrittweise zu verbessern, den Betrieb zu optimieren, zugleich alle für eine CO2-Neutralität bis 2050 erforderlichen Umweltstandards zu integrieren und das Fanerlebnis durch den Einsatz neuer Technologien zu optimieren.

Die Herausforderung besteht darin, genügend Umsatz zu generieren, um während der gesamten Nutzungsdauer des Stadions in der Regel 30 bis 50 Jahre finanziell überlebensfähig zu sein. Selbst ältere Stadien können im Hinblick auf diese Herausforderung renoviert werden. In einigen Fällen kann sich der Erhalt von historischen Merkmalen, die bei den Fans sehr beliebt sind, als ein unvorhergesehener Vorteil eines sensibel renovierten Stadions erweisen.

Natürlich ist der individuelle Ansatz abhängig von den Rahmenbedingungen des jeweiligen Stadions. Viele Stadien sind Eigentum einer lokalen oder regionalen Behörde, sodass der eigentliche Stadionbetrieb sich dem Einfluss des Vereins als Mieter entzieht. Natürlich liegt es im Interesse aller beteiligten Akteure, die Anlage optimal zu nutzen, Auslastung und Umsatz zu erhöhen und die laufenden Kosten möglichst niedrig zu halten.

Whitepaper 3-POP_02_0219_00_o2 arena__MG_9545 1_Julian Anderson.jpg

o2 Arena © Julian Anderson

Whitepaper 6-POP_06_4000_00_4000_LondonOlympicStadium_Exterior_Day2_Populous_Simon borg.jpg

London Olympic Stadium © Simon Borg

Meiner Erfahrung nach ist es für ein umfassendes ­Verständnis der Grundsätze für den erfolgreichen Betrieb eines Stadions auch erforderlich, das gesamte Team mittels Recherche und Suche nach Best Practices in anderen Stadien weltweit entsprechend zu schulen.

Grundsätzlich darf ein Stadion nicht als reine Sportstätte betrachtet werden, sondern als lebende, atmende öffentliche Anlage, die sich im Einklang mit der Entwicklung der umliegenden Liegenschaften auf ihre ganz eigene Weise positiv entwickelt und 360 Tage im Jahr zumindest teilweise geöffnet ist.

Wo kommt bei all dem die Nachhaltigkeit ins Spiel? Wenn die drei Kernkomponenten eines realistischen Nachhaltigkeitsmodells Umwelt, Umsatz und Nutzung durch die Gemeinschaft berücksichtigt werden, kann jede Phase der Stadionentwicklung und des Stadionbetriebs sorgfältig evaluiert werden, um sicherzustellen, dass ein geeignetes Gleichgewicht zur Sicherung des langfristigen Überlebens gewährleistet ist. Im Folgenden sollen im Detail einige der Aspekte beleuchtet werden, die auf der Agenda eines jeden Stadionbetreibers stehen sollten:

Marktstudie

Stadionbetreiber müssen zu jeder Zeit ihr Zielpublikum im Blick haben und somit stets auf eine regelmäßig aktualisierte Marktstudie über Fans, Unternehmensgäste, ­Namensrechtepartner, Medienpartner und Spieler zurückgreifen können. Diese bildet die Grundlage für eine langfristige Analyse der Zukunftstrends. So wird etwa das Angebot an Logen in vielen Stadien reduziert, um Raum für mehr Networkingbereiche zu schaffen. In Stadien mit integrierter Flexibilität sind derartige Umbauten einfacher.

Finanzielle Bewertung

Wenn der Stadionbetreiber mit seiner Anlage einen möglichst hohen Mehrwert generieren möchte, muss sich der Businessplan auf die gesamte Lebensdauer beziehen und nicht nur auf eine kurzfristige Perspektive. Der Businessplan muss Teil des Nachhaltigkeitsberichts sein.

Nachhaltigkeitsbericht

Der Klimawandel ist bei der Stadionplanung mittlerweile ein ausschlaggebender Faktor, und die Folgen des Klimawandels sind bei Management und Betrieb von Stadien, egal ob neu oder alt, zu berücksichtigen.

Das jüngst ergangene Gerichtsurteil im Vereinigten Königreich gegen die Erweiterung des Flughafens Heathrow kann wesentliche Implikationen für jedes Infrastrukturprojekt haben, auch für Stadien und Arenen. Sie alle werden dem Ziel der britischen Regierung entsprechen müssen, bis 2050 CO2-neutral zu sein. Es ist wahrscheinlich, dass diese Agenda in naher Zukunft auch von der EU insgesamt übernommen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es detaillierter Studien bedürfen, die aufzeigen, wie das jeweilige Stadion solche Vorgaben realistisch erreichen kann.

Angesichts der Tatsache, dass bei Großprojekten ein Jahrzehnt oder noch mehr Zeit bis zur Fertigstellung vergehen kann, wird ein sehr viel höherer Druck auf Stadionbetreibern und Architektenteams lasten, für jeden Aspekt des Stadions kreative Lösungen anzubieten, um den CO2-Fußabdruck und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Bei Bestandsbauten ist die Anpassung der vorhandenen Infrastruktur und des Betriebs an die neuen strikten Vorgaben eine gewaltige Herausforderung, die insbesondere für ältere Sportstätten zu einem erheblichen Kraftakt werden wird.

Damit ist klar, dass jeder Stadionbetreiber und Verein die Zu­kunft ernst nehmen und bereits heute einen Fahrplan für mehr Nachhaltigkeit aufstellen muss.

Screening

Die britische Regierung plant als Folge des Bombenattentats in der Manchester Arena neue Sicherheitsvorschriften für Anlagen, in denen öffentliche Versammlungen stattfinden. Das nach einem der Opfer benannte „Martyn’s Law“ ­verpflichtet die Betreiber von Veranstaltungsstätten zu vielschichtigen Sicherheitsmaßnahmen für alle Stadien und Arenen, unter anderem magnetisches Screening und Taschenscreening sowie erweiterte Sicherheitszonen. Die O2 Arena in London kann als Umsetzungsbeispiel dienen, denn dort sind vergleichbare Verfahren bereits seit mehr als zehn Jahren implementiert. Nach den neuen strikten Gesetzesvorgaben sind in der Veranstaltungsstätte weder Handgepäck noch Tragetaschen erlaubt. In der Londoner O2 Arena werden bis zu acht Millionen Besucher jährlich gescreent, und zwar schrittweise ab der Ankunft am Veranstaltungsort, auf dem Vorplatz, in der äußeren Sicherheitszone rund um das Stadion sowie in der inneren Sicherheitszone.

Die aktuelle Coronavirus-Pandemie führte zur Notwendigkeit von Körpertemperaturmessungen an Flughäfen. Auch an Stadioneingängen wird es solche Messungen geben.

Whitepaper 7-POP_4494_N17_Tottenham Hotspur Stadium_Hufton&Crow.jpg

Tottenham Hotspur Stadium © Hufton&Crow

Wartebereiche

Aufgrund der strikteren Sicherheitsmaßnahmen wird es unvermeidlich zu Wartezeiten kommen. Es ist daher wichtig, dass der Stadionbetreiber an den Sicherheitskontrollen Bildschirme installiert, um mit den wartenden Besuchern zu kommunizieren und klar verständliche Informationen und sogar Unterhaltung anzubieten. Die Ankunft am und der Zutritt zum Stadion sind ein wesentlicher Bestandteil des Besuchererlebnisses und sollten so effizient und unterhaltsam wie möglich gestaltet werden. Ein wichtiges Element dieses Erlebnisses ist auch eine eindeutige Wegeführung.

Verlängerung der Aufenthaltsdauer der Fans vor und nach der Veranstaltung

Ein gut etabliertes Konzept zur Vermeidung von Überfüllung, zur Optimierung des Fanerlebnisses und zur Umsatzsteigerung besteht darin, die Fans zu ermutigen, früh am Stadion anzukommen und auch nach der Veranstaltung noch zu verweilen. Bei Großveranstaltungen wie der Fußball-Weltmeisterschaft wurden sogenannte Fanzonen eingerichtet, in denen diejenigen, die kein Ticket ergattern konnten, Live-Übertragungen auf Großbildschirmen sehen konnten. Viele Vereine haben diese Idee aufgegriffen, um ihren Fans ein besonderes Erlebnis zu bieten, unter anderem mit Zugang zum Vereinsshop, zur Hall of Fame und zu Stadionführungen mit Dachbegehung.

Whitepaper 8-POP_4494_N35_Tottenham Hotspur Stadium_Tottenham Hotspur.jpg

Tottenham Hotspur Stadium © Tottenham Hotspur

Die aktualisierten britischen Richtlinien empfehlen ein zweistündiges Zeitfenster vor und nach der Veranstaltung, in dem Besucher die Fanbereiche innerhalb der äußeren Sicherheitszone mit Angeboten an Speisen und Getränken, Merchandising-Artikeln, Unterhaltung und Treffpunkten nutzen können. Die Besucher in dieser Zone haben die Sicherheits- und Gesundheitschecks am Eingang bereits passiert und erreichen ihre Sitzplätze schnell und einfach. Auch Konzerte im Nachgang der Sportveranstaltung sind mittlerweile verbreitet und können selbst an Nicht-Spieltagen angesetzt werden. Hier müssen natürlich Kostensteigerungen für Service- und Sicherheitspersonal berücksichtigt werden.

Recycling von Wasser und Abfällen

Abfallrecycling und Plastikvermeidung sind eine wichtige politische Maxime, und die gesetzlichen Bestimmungen zu Abfallrecycling und -aufbereitung werden schrittweise verschärft. Ein großer Schritt nach vorn wäre die vollständige Vermeidung von Plastik beim Speisen- und Getränkeangebot. Die Trennung und Verdichtung von recyclingfähigem Müll ist ein wichtiger Bestandteil der meisten modernen Recyclingprogramme. Darüber hinaus gibt es innovative Prozesse zur Verwertung von Kunststoff bei der Herstellung von Merchandising-Artikeln. Arsenal London nutzt beim Abfallmanagement eine Gärkammer zur Umwandlung von Speiseabfällen in Energie.

Spielfeldmanagement

„Event certainty“ (in etwa „Veranstaltungssicherheit“) ist ein Begriff, der für eine Reihe von Herausforderungen bei der Durchführung einer Veranstaltung genutzt wird. Im Zentrum der meisten Veranstaltungen steht das Spielfeld, sein Zustand ist damit entscheidend für den Erfolg des Events. Daher haben sich viele Stadionbetreiber für eine Hybridlösung aus Kunst- und Naturrasen mit Spielfeldheizung, -entwässerung und -belüftung sowie UV-Beleuchtung entschieden, um eine optimale Performance sicherzustellen. Probleme können auftreten, wenn andere Veranstaltungen auf der gleichen Fläche stattfinden, insbesondere Konzerte oder gar Motorsport-Events, in deren Nachgang sich das Spielfeld erst erholen muss.

Rugby etwa erfordert eine höhere Grasnarbe. Daher muss das Veranstaltungsprogramm sorgfältig geplant werden, damit die notwendigen Erholungsphasen zwischen den Veranstaltungen gewährleistet werden können.

American Football wird generell auf Kunstrasen gespielt (obgleich es einige Ausnahmen gibt, zum Beispiel Phoenix). In Tottenham wurden hierzu in einer bisher einzigartigen Lösung zwei übereinanderliegende Spielfelder angelegt, ein Hybridrasen für Fußball und ein Kunstrasen für American Football, um die perfekten Bedingungen für jede Sportart sicherzustellen.

Eine Antwort für die Zukunft sind möglicherweise robotergesteuerte mobile Spielfelder in Modulform, die in Hydrokulturtürmen angelegt werden, vor allem für einige Stadionbetreiber, die ihr Spielfeld bis zu fünf oder sechs Mal jährlich austauschen müssen. Diese sehr teure Routine ist derzeit bereits in einer Reihe europäischer Stadien mit hoher Veranstaltungsdichte üblich.

Alternative Energiequellen

In der Regel wird jeder Stadionbetreiber verpflichtet sein, dem Beispiel des Wembley-Stadions zu folgen, das zu einhundert Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben wird und überdies keinerlei Deponieabfälle produziert.

Zudem können bei größeren Bauten wie dem Lusail-Stadion in Qatar Photovoltaikanlagen installiert werden. Dabei sind jedoch Instandhaltungs- und Reinigungsvorgaben zu berücksichtigen, wenn Dachstandorte in Betracht gezogen werden. Photovoltaikanlagen werden in der Regel auf Parkhäusern und Trainingsgebäuden installiert.

Auch Windkrafträder sind in der Regel effizienter, wenn sie als unabhängige, nicht gebäudenahe Strukturen, etwa in Parks, installiert werden. Problematisch sind jedoch die bisher hohen Kosten für Einmast-Windanlagen. Nacholympisch wurde im Queen Elizabeth Olympic Park in London eine Reihe von sieben kleineren vertikalen Windturbinen mit einer Höhe von je 18 Metern installiert.

Die Nutzung von Tageslicht ist in Stadien naturgemäß begrenzt. In einigen Fällen können die laufenden Kosten insbesondere an Nicht-Veranstaltungstagen jedoch erheblich reduziert werden, etwa durch Verwendung von anpassbaren Reflektor-Sonnenschächten in den Verkehrsflächen und nicht-öffentlichen Bereichen.

LED-Leuchten haben gegenüber Halogenleuchten eine weitaus niedrigere Betriebstemperatur, einen geringeren Energieverbrauch, eine längere Lebensdauer und verbesserte Farbwiedergabe. Der Trend zur Umrüstung nimmt daher in den meisten Stadien an Fahrt auf. Immer größere Bildschirme sind mittlerweile die Norm, sowohl im Stadion als auch an der Fassade. Zukünftig werden die Stadionfassaden mit LED-Systemen ausgerüstet sein, die eine Plattform für Namensrechte, Meldungen und Live-Feedback bieten.

WLAN und 5G

Sportstadien sind prädestiniert für 5G-Installationen, denn Gesichtserkennung, kontaktloses Bezahlen, Fast-Track-Vorbestellung und Live-Feedback werden über diese Technologie allesamt erleichtert.

Kleinere Stadionbetreiber kämpfen damit, sich WLAN-Systeme für die gesamte Anlage leisten zu können, doch genau dies entwickelt sich nunmehr zu einer wesentlichen Anforderung für die meisten Vereine.

Whitepaper 9-POP_4494_N72_Tottenham Hotspur Stadium_Hufton&Crow.jpg

Tottenham Hotspur Stadium © Hufton&Crow

ÖPNV und Reduzierung von Pkw-Parkplätzen

Stadionbetreiber vom europäischen Festland zeigen sich oftmals verwundert über die geringe Zahl von Pkw-Parkplätzen an britischen Stadien. So bietet etwa das ­Arsenal Emirates-Stadion nur 550 Stellplätze, und selbst Wembley verfügt nur über 2.000 Parkplätze. Die politische Linie der britischen Regierung, die Nutzung privater Verkehrsmittel möglichst weitgehend einzuschränken, steht in starkem Kontrast zu den Strategien einiger anderer Länder, in denen Tausende von Stellplätzen bereitgestellt werden, weil öffentliche Verkehrsmittel schlichtweg nicht zur Verfügung stehen. Das Problem hat zwei Facetten: Parkplätze verursachen zum einen hohe Baukosten und nehmen dabei in aller Regel wertvollen Grund ein. Zum anderen gilt: Je größer der Parkplatz, desto länger die Wartezeiten beim Verlassen von selbigem. Lange Wartezeiten von zuweilen bis zu zwei Stunden verderben im Nachhinein das eigentlich schöne Stadi­onerlebnis.

Die Lösung ist in aller Regel abhängig von den öffentlichen Fi­nanzen: In weniger als einem Kilometer Entfernung sollte mög­lichst eine Straßenbahn-, Bus-, U-Bahn- oder Zuganbindung vorhanden sein, die den Anforderungen der Mehrheit der Zuschauer, insbesondere von Familien und Behinderten, entspricht. Mehr Radwege und Fahrradstellplätze sind ein einfaches und doch wirksames Mittel, Besuchern aus der näheren Umgebung die Nutzung eines umweltfreundlichen Verkehrsmittels zu ermöglichen.

Erlebnis für die Fans der Gastmannschaft

Whitepaper 10-POP_0W_WDB2_74_1581_MillenniumStadium_Interior_RoofOpen1_Patrick BinghamHall.jpg

Millennium Stadium Patrick BinghamHall © Patrick Bingham Hall

Viele europäische Stadien bieten den Anhängern der Gastmannschaft nur ein minimales Erlebnis mit der Absicht, ihre Begeisterung zu dämpfen. Es laufen jedoch Studien zur Nutzung eines umgekehrten psychologischen Ansatzes, der darin besteht, den Fans der Gastmannschaft die gleiche Erlebnisqualität zu bieten wie den Anhängern der Heimmannschaft. Dieser Ansatz mag kontrovers diskutiert werden, hat jedoch zum Ziel, Hooliganismus, Vandalismus und Graffiti zu reduzieren. Der Einsatz von Glasabsperrungen wie bei Juventus sowie ein gutes Speisen- und Getränkeangebot in Bereichen mit einladender Atmosphäre können die Stimmung insgesamt verbessern.

Lärmwand

In Liverpool, Dortmund und jetzt auch Tottenham hat sich eine einrangige Megatribüne direkt hinter dem Tor als wunderbares Mittel zur Unterstützung der Heimmannschaft erwiesen!

Zu einer modernen Stadionplanung gehört auch, den Klang innerhalb der Anlage zu halten, um die Atmosphäre noch intensiver zu machen, umso mehr, wenn das Stadion wie in Cardiff über ein mobiles Dach verfügt.

Stadionpersonal

Die Rolle des Stadionpersonals darf heutzutage nicht unterschätzt werden. Geschult in Notfallverfahren, Reanimation, Management von Besucherströmen, Meet‘n‘Greet, Selbstverteidigung und Kommunikation arbeiten die meisten Stadionmitarbeiter ehrenamtlich und erhalten nur einige wenige Vergütungsprämien im Jahr.

Ihre Auswahl und Schulung sind ein essenzieller Bestandteil eines jeden Stadionbetriebs, und ihre Tätigkeit kann sich positiv auf das Besuchererlebnis auswirken.

Erlebnis für Spieler und Funktionäre

Eines ist klar: Glückliche Spieler sorgen für glückliche Fans. Egal ob Konzert oder Fußballspiel die Stimmung im Zentrum des Geschehens auf der Bühne oder auf dem Spielfeld überträgt sich auf das Publikum.

TV- und Medienräume, Club-TV, Fan-Podcasts, Fotoboxen

Die Kommunikation mit dem Publikum ist in jeder Veranstaltungsstätte ein Schlüssel zum Erfolg. Die meisten Vereine verfügen über eine Abteilung für digitale Kommunikation und Social Media, die für die Interaktion zwischen Spielern, Management, den Bürgern vor Ort und den Fans auf allen Ebenen verantwortlich ist. Die entsprechenden Stadioneinrichtungen wie Fanzonen, Interviewräume, Mixed Zone, Presse- und Medienlounges vermitteln einen Eindruck vom Engagement des Vereins auf diesem Gebiet.

Entwicklungsmöglichkeiten im Umfeld: Hotels, Sporthallen, Einzelhandel und Wohnbebauung, Fitnessclubs und Schwimmbäder

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist oft die gleichzeitige Erschließung des Umfelds oder, im Falle von Arsenal, einer Kombination aus Sanierung des alten Highbury-Stadions sowie gewerblicher und wohnungsbaulicher Erschließung der Umgebung im Süden und Osten des Stadions.

In Wembley ist die Entwicklung des Stadionumfelds mehr als ein Jahrzehnt nach Eröffnung des neuen Stadions immer noch nicht abgeschlossen. Die dauerhafte Aktivierung der Stadionumgebung an Nicht-Veranstaltungstagen wird über die langsame Ansiedelung von Hotels, Bürogebäuden, Indoor-Arena und Freizeitangeboten nur schrittweise bewältigt.

Bei Olympique Lyonnais steht inzwischen eine ähnliche Herausforderung an: Der weit außerhalb des Stadtzentrums gelegene OL Park braucht dringend einen neuen gesellschaftlichen Treffpunkt rund um das Stadion, damit Fans und die Öffentlichkeit im Allgemeinen dazu motiviert werden, die vorhandenen Einrichtungen auch außerhalb der Spieltage in Anspruch zu nehmen. Ein Mix aus regionalem Einkaufszentrum, Vereinsshop, Hall of Fame, Hotels, Indoor-Arena, Gesundheits- und Freizeitangeboten sowie Veranstaltungen im Freien soll den gesamten Bezirk aktivieren, gemeinsam mit dem benachbarten Trainingszen­trum von OL, in dem auch Angebote für die Bürger vorgehalten werden, unter anderem Fitness und Laufen.

 

Fazit

Eines habe ich in meiner 40-jährigen Laufbahn in der Welt der Sportarchitektur gelernt: niemals zufrieden zu sein. Man kann immer dazulernen. Die Anforderungen verändern sich täglich, und jeden Tag passen sich Technologie und Wissen an die Herausforderungen an.

Woher beziehen wir dieses Wissen? IAKS und ESSMA bieten Programme an, mit denen die Branche darin unterstützt werden soll, die Stadionqualität zu verbessern.

Über ESSMA

ESSMA (European Stadium & Safety Management Association) arbeitet eng mit mehr als 350 Vereinen und Stadien an der Weiterentwicklung der Branche. Obwohl jedes Stadion und jeder Fall seine besonderen Merkmale hat und einen individuellen Ansatz erfordert, sind die wichtigsten Herausforderungen allen gemeinsam.

Zunächst und vor allem geht es um die Verlängerung der Aufenthaltsdauer der Fans im Stadion, nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive (wenn die Menschen länger im Stadion sind, geben sie auch mehr aus), sondern auch zur Verkürzung der Warteschlangen an Zugängen und Imbissständen. Natürlich spielt die Stadionplanung hierbei eine wichtige Rolle. Wir stellen fest, dass die Menschen früher kommen, wenn die Stadien ein angenehmer Ort mit Unterhaltungsangeboten sind. Im alten Stadion an der White Hart Lane verzeichneten die Tottenham Hotspurs den schlechtesten Wert bei der frühzeitigen Ankunft der Fans im Stadion, in der neuen Arena führen sie die Liste an.

Außerdem ist die Wichtigkeit eines großartigen Fanerlebnisses nicht zu unterschätzen. Ein hochwertiges Angebot ist sowohl für Hospitality-Gäste als auch für die Zuschauer von wesentlicher Bedeutung. Neben der Qualität scheint auch die Angebotspalette an sich zu wachsen. Eine interessante Entwicklung zeigt sich auch bei der Preisspanne: Die günstigsten Preiskategorien wurden günstiger, die Premiumplätze sogar noch teurer. Dies alles trägt zu einer stärkeren Segmentierung und Personalisierung des Angebots bei.

Ein letzter, verständlicher Punkt ist angesichts der Terrorgefahr die Priorität der Sicherheit von Personen und Anlagen. Das gilt insbesondere, wenn wir uns die Studien zu Menschen ansehen, die niemals zuvor eine Stadionveranstaltung besucht haben. Der Hauptgrund dafür liegt oftmals in der Angst vor Gewalt und sonstigen Risiken. Es ist unsere Aufgabe, diesen Menschen einen Anreiz zu bieten, indem wir die Sicherheit von Personen und Anlagen unauffällig im Hintergrund organisieren und ein herausragendes Besuchererlebnis anbieten.

Insgesamt werden Technologien im Umgang mit diesen Herausforderungen eine wichtige Rolle spielen. In der Planungsphase einer neuen Sportstätte ist nur schwer vorherzusagen, welche Technologie verfügbar sein und genutzt werden wird. Es geht daher stets darum, genügend Flexibilität zu integrieren und Anpassungen so spät wie möglich im Projektverlauf vorzunehmen. 5G ist definitiv eine Technologie, der wir viel Aufmerksamkeit widmen, da sie einen vollkommen neuen Ansatz für die Stadien mit sich bringt. In der NFL haben nun 13 der 32 Stadien einen 5G-Zugang und entdecken die damit verbundenen neuen Möglichkeiten. Und just in diesem Jahr hat der VfL Wolfsburg einen ersten Test im Hinblick auf die EURO 2024 durchgeführt.

Portrait photo Cyril De Greve.jpg

Cyril De Greve
Geschäftsführer
ESSMA

Unsere Erfahrung zeigt, dass all diese Faktoren Berücksichtigung ­finden müssen, wenn ein Stadion erfolgreich sein soll.


www.essma.eu