„Es geht nicht um Steine, Beton und Kunstrasen, sondern um Grundsätzlicheres“

Der Vorstandsvorsitzende der IAKS Deutschland, Prof. Dr. Robin Kähler, berichtet im Interview bei "SPORT NACHGEDACHT" von einem Verständnis des Sports als „gesellschaftliches Medium und Lebensgefühl der Menschen“ und erklärt, warum die gewaltige Summe des Sanierungsstaus die Umsetzung von kleinen Reparaturen und Erneuerungen nicht hemmen sollte.

Bei aller Ungewissheit über die langfristigen Folgen der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen, lehrt uns die Pandemie eines schon heute: Der Sport und die Sportstätten, in denen er stattfindet, haben einen Stellenwert, der erst dann so richtig deutlich wird, wenn die Hallen, Plätze, Bäder und Freiflächen plötzlich nicht mehr zugänglich sind. Die Erfahrung der pandemiebedingten Schließung der Sportstätten schärft den Blick für ihre Bedeutung und sollte der lang ersehnte Anlass dafür sein, Sport- und Bewegungsräume endlich auf einen adäquaten Stand zu bringen.

Das Interview können Sie auch bei "SPORT NACHGEDACHT" lesen.

Gesprächspartner: Andreas Müller
Überarbeitet von: IAKS Deutschland

IAKS, Sportstätten, Grundsätzliches
Prof. Dr. Robin Kähler

Prof. Dr. Robin Kähler

Vorstandsvorsitzender IAKS Deutschland
Prof. Dr. Robin Kähler
Vorstandsvorsitzender IAKS Deutschland

Telefon: 0171 6872915

E-Mail: kaehler.deutschland@iaks.sport

Gegenwärtig ausgeübte Berufe und Tätigkeiten:

Hochschullehrer i.R.

Experte für Sportentwicklungsplanung und Sportstättenplanung

Freiraumplanung

Tätigkeiten als Mitglied eines Vorstandes, Aufsichtsrates, Verwaltungsrates, Beirates o.ä.:

Sprecher der Kommission Sport und Raum in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs)

Wissenschaftlicher Beirat im Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp)

Mitglied des Beirates für Sportökonomie beim Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi)

Entgeltliche Tätigkeiten der Beratung, Vertretung fremder Interessen, Vortragstätigkeit:

Projekte, Gutachten, Veröffentlichungen und Vorträge in den Bereichen Kommunale Sportberatung, Vereinsberatung, Planung und Bau von Bewegungsräumen, Sportentwicklung, Grün- und Freiräume, Sportgeräteentwicklung

Besondere Expertenkenntnis/-erfahrung:

Kommunale Sportentwicklungsplanung

Sportmanagement

Leitungs- und Politikerfahrung in verschiedenen Funktionen

Moderation komplizierter Projekte im Sport

 

Viele Sportstätten in Deutschland befinden sich in einem desaströsen Zustand. Jeder kennt das Bild von kaputten Hallenböden, heruntergekommenen Umkleidekabinen und nicht funktionierenden Heizungen. Das ganze Ausmaß des Aufholbedarfs manifestiert sich in einem Sanierungsstau von mittlerweile rund 31 Milliarden Euro. Warum tut sich die Sportnation Deutschland so schwer damit, die Sportstätten flächendeckend zu erneuern?

Wir müssen zunächst klären, welchen Sport wir meinen. Der medienpopuläre kommerzielle Spitzensport darf ja während der Pandemie stattfinden, er wird privilegiert – was ein Großteil der Bevölkerung mit Recht missbilligt. Es war und ist sehr unsolidarisch, wenn der kommerzielle Sport erlaubt wird, das Sporttreiben der Kinder und Jugendlichen in den Vereinen und Schulen jedoch nicht. Bäder, Sportplätze, Schulsport und Fitnessstudios waren trotz exzellenter Hygienekonzepte geschlossen. Offensichtlich gibt es eine starke Lobby für den medial wichtigen Spitzensport. Schwer tun sich die Kommunen, Länder und der Bund hingegen damit, den ganz normalen Sport der Bevölkerung und die räumlichen Rahmenbedingungen bedarfsgerecht zu finanzieren. Man könnte vermuten, dass der Staat dem Gemeinwohl zu wenig Beachtung entgegenbringt. Aus dem angekündigten „Goldenen Plan“ ist leider nur ein kleines Blatt-Gold geworden.

In welcher Form versuchen die IAKS Deutschland und Sie als Vorstandsvorsitzender, das Bewusstsein für die Bedeutung der Sportstätten zu stärken?

Das wirksamste Mittel für uns ist der direkte Kontakt zu politischen Entscheidungsträger*innen. Bereits vor zwei Jahren habe ich vor dem Sportausschuss des Bundestages bemängelt, dass die Sportstätteninfrastruktur in der Bundesrepublik viele Jahre fahrlässig vernachlässigt wurde. Im März dieses Jahres habe ich dies erneut vor dem Sportausschuss hervorgebracht. Anders als in der öffentlichen Diskussion um Sportstätten - wenn sie denn überhaupt geführt wird –, gilt mein erster Ansatz nicht dem riesigen Sanierungsstau, den wir seit Jahren vor uns herschieben. Es geht mir persönlich nicht um Milliardensummen, sondern zunächst darum, wie wir die Probleme im Bereich der Sportstätten lösen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir durch die immensen Summen, die für die Sportstättensanierung notwendig sind, vermeintliche Kleinigkeiten übersehen oder gar nicht erst angehen. Beim Blick auf diesen gewaltigen und schier nicht zu bewältigenden Investitionsstau sind wir blind geworden für das Machbare. Auch kleinere Reparaturen und Erneuerungen können jedoch dazu führen, dass ganze Mannschaften wieder Spaß an ihrem Spiel haben. Das sind die Relationen, die mich zuallererst bewegen. Viele Probleme bestehen wegen kleiner Mängel mit schmerzhaften Folgen für die Menschen.

Viele kleine Investitionen könnten das Problem also bereits schmälern?

Zumindest ist eine nur an Summen und Finanzen orientierte Betrachtung nicht gleich die beste Lösung. Diese Verengung halte ich für falsch und plädiere für eine komplexere Betrachtung. Ein Loch im Fußboden, Sportgeräte, die nicht gewartet werden und ein gesundheitliches Risiko darstellen, eine Toilette, die nicht funktioniert. Es sind viele kleinere und überschaubare Dinge, mit denen viele Sporttreibende und Übungsleiter*innen tagtäglich umgehen müssen. Schäden und Versäumnisse, denen man unkompliziert zu Leibe rücken könnte. Köln ist dafür ein gutes Beispiel. Dort hat das städtische Sportamt eine Art „Eingreiftruppe“ mit Handwerkern ins Leben gerufen, die unkompliziert, zügig und ohne viel Verwaltungsaufwand kleinere Reparaturen in den Sportstätten erledigt. Auf diese Weise werden Mängel schleunigst behoben und größere Schäden im Keim erstickt. Vor allem muss der Sportbetrieb nicht länger als nötig leiden, wenn sofort gehandelt wird. Nach meinem Verständnis ist es das allererste Gebot, den Sport zu ermöglichen. Das sollte im Zentrum aller Überlegungen stehen.

Fehlt es bei der Beseitigung von Mängeln nicht auch häufig an der Verteilung von Zuständigkeiten und verlässlichen Kommunikationswegen?

Absolut. Es geht ja oft schon damit los, dass Mängel bei den Kommunen gar nicht bekannt sind, dass sie nicht gemeldet oder an die richtigen Leute weitergegeben werden und es keine verlässlichen Informationen gibt. Oft wurde das klassische Hausmeister-Modell abgeschafft. Dieses Personal wurde aus Kostengründen zunehmend reduziert mit dem Ergebnis, dass ein Hausmeister für fünf Sportanlagen verantwortlich ist und nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. So geht die Übersicht für den Zustand in den einzelnen Sportstätten verloren. Ich habe auch schon von Handwerkern gehört, die wieder abgerückt sind, weil kein Hausmeister anwesend war und ihnen niemand aufgeschlossen hat. Hinzu kommt eine überbordende Bürokratie.

Sie meinen die bürokratischen Mühlen der Sportämter?

Wenn in einer Sporthalle ein paar Leuchtröhren auszuwechseln sind, sind für diesen Vorgang, je nach Kommune, vier oder fünf Ämter eingebunden. In manchen Fällen braucht es zusätzlich noch eine Ausschreibung, damit der Auftrag endlich vergeben werden kann. Das zieht einen riesigen Verwaltungsaufwand, höhere Kosten und einen Zeitverlust nach sich. In der Konsequenz muss der Sportbetrieb länger als nötig leiden, selbst wenn das Geld für die Mängelbeseitigung vorhanden ist. Oft hat der Sport in den Städten und Gemeinden nicht die nötige Lobby und andere Baustellen werden dem Sport vorgezogen. Unter solchen Verhältnissen addieren sich die Mängel, ihre Beseitigung dauert länger und wird teurer und im gleichen Maße nimmt der Frust bei Sportler*innen zu, bei den Übungsleiter*innen in den Vereinen und den Lehrkräften, die gern ihren Sportunterricht abhalten würden.

Eine Situation mit der die IAKS Deutschland häufig zu kämpfen hat?

Wer wenn nicht wir, könnte man lakonisch fragen. Als Sportstätten-Verband sind wir mit dem Thema natürlich unmittelbar verbunden. Im Übrigen gilt das ebenfalls für mich persönlich und meine Passion, den öffentlichen Raum als Stätte für Sport und Bewegung zu begreifen und diesen Zusammenhang stadtplanerisch zu berücksichtigen. Nach Projekten in Köln und Bonn arbeite ich gerade an Aufträgen in Heilbronn und Freiburg im Breisgau. Ich bin also kein Theoretiker, sondern weiß Bescheid, was in der Praxis bei den Kommunen abläuft. Unter dem Dach der IAKS haben wir in Deutschland derzeit 370 Mitglieder. Das sind weniger Einzelpersonen als vielmehr Kommunen, Verbände, Firmen, Architekturbüros oder Hersteller von Sportgeräten. Bei uns ist alles an renommierten Adressen vertreten, was in irgendeiner Form mit Sportstätten und Bewegungsräumen zu tun hat – von der Planung und der Konzeption über Bau, Modernisierung und Sanierung bis hin zur Ausstattung sowie zu Betrieb und Unterhaltung. Mit der Branche repräsentieren wir aktuell ein Marktvolumen zwischen 3 und 4 Milliarden Euro und etwa 100.000 Arbeitsplätze. Von allen Seiten hören wir immer wieder Klagen über bürokratische Hürden, die ausbleibende Priorisierung der Sportstätten vom Bund, den Ländern und Kommunen und den Mangel an bedarfs- und fachgerechten Bauprojekten im Sportstättenbereich.

Bei der jüngsten Anhörung im Sportausschuss am 24. März diesen Jahres erneuerten die Vertreter der Linken ihren Vorschlag, binnen zehn Jahren jährlich eine Milliarde in die Sanierung der Sportstätten zu stecken. Eine Maßnahme, die sie begrüßen würden?

Nach meinem Verständnis bräuchte es zunächst einmal eine gründliche Bedarfsanalyse, eine genaue Betrachtung der Sportstätten. Wenn wir die Situation in ihre Einzelteile zerlegen, dann wäre beispielsweise zu sehen, was an Reparaturen oder Sanierungen relativ einfach und mit großer Wirkung zu bewerkstelligen ist und wo an größeren Investitionen tatsächlich kein Weg vorbei geht. Zugleich ist die Analyse wichtig, um festzustellen, wo und vor allem welche Sportstätten tatsächlich benötigt werden. Der Bund stellt durch verschiedene Förderprogramme für 2021 rund 600 Millionen Euro zur Verfügung. Mehr Geld wäre natürlich hilfreich, doch wir müssen auch die Kapazitäten des qualifizierten Fachpersonals im Auge behalten. Bei einer Milliarde Euro pro Jahr würden einige Kommunen wahrscheinlich in Schwierigkeiten geraten. Große Kommunen mit Fachpersonal profitieren von den Geldern eher als kleine mit wenigen Angestellten, die die Anträge in den relativ kurzen Einreichungszeiträumen kaum bewältigen können und auf mehr Unterstützung von Planungsbüros angewiesen sind. Es reicht nicht aus, einfach nur große Summen an Geld in den Raum zu werfen. Dieses Problem muss systematisch und bedacht angegangen werden.

Aktuell zehren wir vom „Investitionspakt Sportstätten“, der im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat angesiedelt ist. Der Bund stellt seit 2020 bis 2024 rund 640 Millionen Euro zur Verfügung und die Länder sowie die Kommunen ergänzen das Paket um 210 Millionen Euro. Ist dies ein Modell, welches sich bewährt und beibehalten werden sollte?

Prinzipiell halte ich das Modell „Goldener Plan“ mit der gleichzeitigen Beteiligung von Bund, Ländern und Kommunen an den Ausgaben für sinnvoll. Außerdem hat es sich in der Geschichte der Bundesrepublik über dreißig Jahre hinweg gut bewährt. Allerdings sollte ein neues Programm nach ähnlichem Muster, also nicht allein beim Bundesministerium des Innern angesiedelt sein, sondern auf Bundesebene verschiedene Ministerien wie Soziales, Familie, Gesundheit und Bauen mitnehmen. Denn es geht nicht zuerst um Steine, Beton und Kunstrasen, sondern um Grundsätzlicheres: Zu einem solchen Programm gehört zwangsläufig die Diskussion darüber, welche gesellschaftlichen Wirkungen es mit sich bringen soll und wer davon vor allem profitieren soll. Es geht also um mehr als die einseitige Betrachtung der Sportstätten als etwas rein Materielles. Sie sollen das Leben der Menschen bereichern, Spaß am Sport wecken und erhalten und damit Mittel zum Zweck sein. Wie das geht und was wir dafür brauchen, müsste ins Zentrum der Diskussion rücken, statt lediglich über Milliardensummen zu sprechen. Deshalb plädiere ich auch leidenschaftlich für die stärkere Einbindung und Nutzung des öffentlichen Raums zum Sporttreiben. Dieses Thema erfährt bisher viel zu wenig Beachtung.

Es bedarf also auch einer fundamentalen Diskussion darüber, was der Sport eigentlich gesamtgesellschaftlich bedeutet?

Genau. Es ist in diesem Zusammenhang unerlässlich, dass wir zuallererst an die Sportreibenden und den ganz praktischen Nutzen denken, den die Sportstätten für sie haben sollen. Kinder zum Beispiel brauchen keine teuren Drei-Feld-Hallen.  Für ihre Bedürfnisse genügt eine vielseitig ausgestattete Sporthalle mit bunten Wänden, die zum Sporttreiben einlädt und ihnen die Freude an Sport und Bewegung vermittelt. Überlegungen, die nicht zuletzt wichtige Indikatoren für Kosten sind. Für Leistungssportler*innen sind Sportstätten eine Art Werkzeug mit ganz spezifischen Anforderungen, Menschen mit Behinderung finden in Sportstätten Gleichberechtigung, Teilhabe, Inklusion, Senior*innen treffen auf soziale Kontakte und halten sich fit bis ins hohe Alter. Sportstätten sind mehr als rein materielle Bauwerke.  Sie sind Begegnungsstätte, Rückzugsort, Lehr- und Lerngelegenheit - Lebensort.

Die Pandemie hat uns das auf unangenehme Weise verdeutlicht.

Die Pandemie mit ihren schmerzlichen Folgen für den Amateur- und Breitensport wirkte wie ein Finger, den man in eine Wunde legt. Die vergangenen Monate im Dauer-Lockdown haben den Sportreibenden sogar körperlich spürbar und in der Gesellschaft deutlich gemacht, welchen ungeheuren Wert die Sportvereine und Sportstätten haben. Das von den Medien transportierte Bild des Wettkampfsports blendet diese Ebene der Betrachtung fast vollkommen aus. Die auf Ereignisse fokussierte Sportberichterstattung vermittelt schon seit Jahren ein völlig verzerrtes Bild vom Wesen des Sports. Mit fatalen Wirkungen unter anderem für Politikerinnen und Politiker und andere Entscheidungsträger, die vom eigentlichen Sport und damit auch vom Wert der Sportstätten oftmals gar keine tiefergehenden Vorstellungen haben. Wie sollen sie vor diesem Hintergrund das Thema überhaupt in den angemessenen gesellschaftlichen Dimensionen erfassen und praktisch angehen können?

Meinen Sie, dass die Pandemie vielleicht trotzdem etwas angestoßen haben könnte, was die Entwicklung der Sportstätten in Deutschland in eine positive Richtung rückt?

Der Wert der Sportvereine besteht heute meines Erachtens ganz besonders in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, bei denen die Lust an der Bewegung geweckt wird, die in den Vereinen etwas lernen, etwas erleben und etwas mitnehmen für das spätere Leben.  Sport ist weitaus mehr als körperliche Bewegung und Miteinander. Sport ist ein gesellschaftliches Medium. Sport zu treiben ist ein Lebensgefühl der Menschen. Das hat die Pandemie den Menschen eindrücklich klargemacht und vor allem dem Nachwuchs, der unter den Beschränkungen ganz besonders leiden musste. Ich bin nach diesen Erfahrungen optimistisch, dass wir nach der Pandemie auf gutem Wege zu mehr Wachheit für die tatsächlichen Werte des Sports sind. Nun gilt es, dranzubleiben und diese Einsichten nicht wieder zu vergessen. Das gilt ebenso in Bezug auf den öffentlichen Raum als „Sportplatz“. Auch was das betrifft, so haben und Pandemie und Lockdown die Augen geöffnet.